Einfache Sprache und Leichte Sprache im Museum

Ein Zeichen an die sogenannt Normalen

Das Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee und das Zentrum Paul Klee in Bern haben als erste Schweizer Museen umfassende Kommunikationsprodukte in einfacher oder Leichter Sprache erarbeitet: Informationstexte, Ausstellungsbroschüren, Audioguides, Tandem-Führungen und einen Newsletter. Warum einzelne Angebote wieder verworfen wurden und andere weiterentwickelt, an wen sich Leichte Sprache und einfache Sprache richtet und wie Betroffene noch besser erreicht werden sollen.

Tandem-Führung mit Kathrin Brodmann und Hannes Dubach durch «Touchdown. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom» im Zentrum Paul Klee in Bern. © Zentrum Paul Klee

«Dieses Bild heisst: Vertierung.
Das heisst: etwas oder jemand wird zum Tier.
Sehen Sie, wer hier zum Tier wird?
Man sieht 2 Gesichter im oberen Teil des Bildes.
Darunter ist ein Tier zu sehen.
Es hat spitze Ohren.
Das eine Gesicht verschwindet schon fast im Körper des Tieres.»

Schon die ersten Zeilen zum Werk «Vertierung» von Paul Klee machen klar: Die Broschüre in Leichter Sprache zur aktuellen Ausstellung «Paul Klee. Tierisches» (19.10.2018 – 17.3.2019) im Zentrum Paul Klee (ZPK) in Bern, aus der sie stammen, ist keine blosse Übersetzung eines Ausstellungskatalogs in eine einfachere Sprache. Die Leserinnen und Leser werden vielmehr eingeladen, genau hinzuschauen und sich selber Gedanken und ein Bild zu machen, unterstützt von Fragen und Hinweisen.

Der Text umfasst rund 20 Zeilen sowie Angaben zu Format, Technik und Entstehungsjahr des Werkes, und auch ein kleinformatiges Foto von «Vertierung» ist abgebildet. Die Broschüre «Leichte Sprache. Paul Klee. Tierisches», die in der Ausstellung aufliegt, besteht aus 17 solcher auf einer A4-Seite beschriebenen Bilder, einem Orientierungsplan der Hängung, einer Einführung in das Leben des Künstlers Paul Klee und ergänzenden, die Ausstellung einordnenden Angaben.

Konzipiert hat Dominik Imhof die Broschüre in Leichter Sprache als Rundgang durch die Ausstellung anhand ausgewählter Werke. Mit der Broschüre wende er sich nicht spezifisch an Besuchende mit kognitiven Beeinträchtigungen oder Leseschwächen, sagt der Leiter Kunstvermittlung im ZPK. Die Broschüre solle vielmehr einem breiten Publikum einen verständlichen Einblick in die Ausstellung geben. Auf kunsthistorische Verweise verzichte er weitgehend, hierfür gebe es spezifische Vertiefungsangebote im Museum.

Kunsthistorisches Wissen für das Verfassen von Museumstexten in Leichter Sprache notwendig

Schon seit 2015 erarbeitet das Zentrum Paul Klee zusätzliche Begleittexte in Leichter Sprache für seine Ausstellungen; vier allgemeine Texte in Leichter Sprache über die beiden Museen, den Künstler Paul Klee und das Kunstvermittlungs- und Integrationsprojekt «Klee ohne Barrieren» finden sich zudem auf der Webseite des Kindermuseums Creaviva. In diesem 2009 begonnenen und 2016 abgeschlossenen Projekt habe man sich für Leichte Sprache entschieden, um einen ausdrücklichen Gegenentwurf zu Bestehendem zu wagen, resümiert Urs Rietmann, Leiter des Kindermuseums Creaviva, die Ziele dieses Vorhabens – eines schweizweiten Pionierprojekts. «Wir wollten ein Zeichen setzen gegenüber unserem Publikum: Es gibt Menschen, die uns sonst nicht verstehen. Inklusion meint Menschen mit Behinderungen, richtet sich aber auch an die sogenannt Normalen.»

Diese zu sensibilisieren, sei auch die Hauptaufgabe des «Newsletter inklusiv», den er in unregelmässigen Abständen verschickt und zusätzlich in einer einfachen Sprache verfasst, die sich am Regelwerk der Leichten Sprache orientiert – im Bewusstsein, dass er damit gerade jene anspreche, die auch den vorangehenden Text in komplexer Sprache verstehen. 

Für die ersten allgemeinen Texte in Leichter Sprache beriet ein Vertreter von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen das Kindermuseum Creaviva, zudem wurden die Texte extern auf ihre Verständlichkeit geprüft und mit dem offiziellen Logo für Leichte Sprache gekennzeichnet. Darauf verzichtet Dominik Imhof heute aus finanziellen und praktischen Gründen: Die Werke, die er in der jeweiligen Broschüre selber in Leichter Sprache beschreibt, wähle er bei einem Rundgang durch die neue Ausstellung des ZPK aus, und endgültig sei die Hängung meist erst kurz vor der Eröffnung.

Mehr noch als organisatorische Hindernisse wiegen indes inhaltliche, museumsspezifische Argumente: «Für eine Ausstellungsbeschreibung in Leichter Sprache braucht es kunsthistorische Grundkenntnisse, Wissen über die spezifische Ausstellung sowie vermittlungstechnische Erfahrung und Kenntnisse im Bereich Inklusion.» Externe Personen, die all dies mitbringen, seien kaum zu finden.

Leichte Sprache und einfache Sprache zwingen, präzise und konkret zu formulieren

In Leichter Sprache zu schreiben, hat der Leiter Kunstvermittlung im ZPK vor allem in der Praxis erlernt, sein Ansatz ist ein pragmatischer. Er beachtet einige zentrale Regeln, baut zum Beispiel nach jedem seiner kurzen Sätze einen Zeilenumbruch ein und verzichtet auf Schachtelsätze. Wenn nötig, benutzt Dominik Imhof Fremdwörter und erklärt sie: «Wer die Broschüre in Leichter Sprache liest, soll durchaus neue Wörter dazulernen.» Von «Komposition» zu sprechen und auf den Punkt gebracht zu sagen, was das Wort bedeutet, sei eine schöne Herausforderung – aber nichts Aussergewöhnliches, denn dies sei schliesslich seine Aufgabe als Vermittler: für alle verständlich zu kommunizieren, schriftlich und mündlich.

Mit «Sinn-Reich» bietet Dominik Imhof zudem für jede Ausstellung im ZPK eine inklusive Führung an, bei der je nach Zusammensetzung der Gruppe die Sprache angepasst wird. Zudem wird die Führung gebärdensprachverdolmetscht für Besuchende mit Hörbehinderungen, und über taktile Angebote werden speziell auch Menschen mit Sehbehinderungen einbezogen.

Die Besuchenden dort abzuholen, wo sie individuell stehen, hat auch für Urs Rietmann Priorität. Auch wenn Sprache im Kindermuseum Creaviva eine kleinere Rolle spielt als im ZPK und die zentrale Kompetenzerfahrung hier vor allem über das handwerkliche Arbeiten in den Workshops verläuft. «Eine für alle zugängliche Sprache zu wählen, ist in einer tendenziell exklusiven Einrichtung wie einem Museum entscheidend, weil sich das breite Publikum erst so mitgemeint fühlt.»

Eine einfache Sprache zu wählen, sei spätestens dann unumgänglich, wenn an einem Offenen Atelier Interessierte aus dem Tessin, Mütter mit kleinen Kindern oder Gäste mit Migrationshintergrund teilnehmen. Wie die Leiterinnen und Leiter der Workshops diese vereinfachte Sprache lernen? «Die Bereitschaft dazu ist eine Frage der Haltung», ist Urs Rietmann überzeugt. Die wichtigsten Regeln seien einfach zu lernen und gehörten zum Handwerk der Kunstvermittlung.

Wesentliche Kommunikationsprodukte wie Schul- oder Freizeitbroschüren verfasst das Kindermuseum Creaviva indes nicht in Leichter Sprache. «Diese Informationsmittel richten sich an Lehrpersonen, Eltern oder Betreuende – sie entscheiden letztlich über einen Workshop- oder Museumsbesuch und weniger die Betroffenen selber.»

Ein Ausstellungskatalog in vereinfachter Sprache und Tandem-Führungen

Eine einfache Sprache wählt das Kindermuseum Creaviva im direkten Kontakt mit Betroffenen. «Ich schreibe gerne in einfacher Sprache, weil sie mich zwingt, präzise und konkret zu formulieren», sagt Urs Rietmann. «Im Mailverkehr mit Menschen mit Down-Syndrom für die Ausstellung Touchdown merkten wir anhand ihrer Rückmeldungen, dass uns die Ansprache gut gelingt.» Das sei umso erfreulicher, als Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen nicht nur eine Leseschwäche haben, sondern Lesehemmungen. «Weil sie ein Leben lang die Erfahrung gemacht haben, dass ihr Leseverständnis nicht ausreicht.»

Das Zentrum Paul Klee übernahm «Touchdown. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom» (24.1. – 13.5.2018), welche die Bundeskunsthalle Bonn 2016 in Kooperation mit dem Forschungsprojekt «Touchdown 21» realisiert hatte, und ergänzte sie mit Werken von Schweizer Kunstschaffenden mit Down-Syndrom.

Mit der interdisziplinären Ausstellung über das Down-Syndrom und seine Geschichte betrat das Berner Museum gleich mehrfach Neuland. Eine vereinfachte Sprache – «klare Sprache» in der Definition der Bonner Ausstellungsverantwortlichen – war erstmals nicht bloss ein zusätzliches Angebot im ZPK. Der in Zusammenarbeit mit betroffenen Experten in dieser einfachen Sprache verfasste Ausstellungskatalog und die Begleittexte zu den Exponaten in der Ausstellung überzeugten auch die Besuchenden des ZPK. «Menschen ohne Beeinträchtigungen meldeten uns, dass die Texte für einmal verständlich waren», erinnert sich Dominik Imhof.

Das ZPK übernahm für «Touchdown» auch das Bonner Konzept der Tandem-Führungen: Durch die vielbeachtete Ausstellung führten jeweils eine geschulte Person mit Down-Syndrom und ein Museumsmitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des ZPK gemeinsam. Und gemeinsam hatten sie davor während mehrerer intensiver Schulungswochen die Inhalte der Führungen nach dem Regelwerk der vorgegebenen klaren Sprache erarbeitet. Zu «Touchdown» seien auch Besucherinnen und Besucher gekommen, die sonst nicht ins ZPK gehen: Menschen mit Down-Syndrom und ihre Angehörigen, aber auch Interessierte aus dem Gesundheitssektor.

Mehr Sichtbarkeit für mehr Selbstverständnis

Anders als bei «Touchdown» wisse er nicht genau, auf welche Resonanz die anderen Zugangshilfen in Leichter Sprache bei den Betroffenen stossen, räumt Urs Rietmann ein. «Erreichen wir Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen tatsächlich, und sind sie an unserem Angebot interessiert? Dass es dieses gibt, heisst nicht, dass sie ein grösseres Interesse an dieser Form von Hochkultur haben als andere potenzielle Gäste», gibt er zu bedenken.

Rückmeldungen auf die Ausstellungsbroschüre in Leichter Sprache holt Dominik Imhof aus Ressourcengründen nicht aktiv ein. Er ist sich jedoch bewusst, dass sie derzeit nur ein kleines Publikum anspricht. Positive Reaktionen auf seine Broschüre erhält er denn auch nicht von Betroffenen, sondern beispielsweise von Grosseltern, die sie ihren Enkelkindern beim Rundgang durch die Ausstellung vorlesen. Den Audioguide in Leichter Sprache hat das ZPK aus Kostengründen und aufgrund des mangelnden Interesses nach zwei Ausstellungen wieder abgeschafft.

Neue Impulse, um Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen vermehrt zu erreichen, erhoffen sich Urs Rietmann und das Kindermuseum Creaviva vom dreijährigen Projekt «Hand in Hand», das seit Herbst 2018 in Vorbereitung ist. Bei diesem von einem Beirat begleiteten Vorhaben werden ab Sommer 2019 Menschen mit Beeinträchtigungen nach angemessener Schulung ganz selbstverständlich im Museum anzutreffen sein – als Assistierende in Workshops mit Schulklassen, als Tandem-Führende in Ausstellungen des ZPK oder je nach Kompetenzen und Interessen als eigenverantwortliche Kursleitende in Ferienkursen.

Die Reaktionen von Fördereinrichtungen auf «Hand in Hand» sind laut Urs Rietmann ausgesprochen ermutigend, auch wenn es für Behinderteneinrichtungen, in denen Betroffene leben oder arbeiten, einen Mehraufwand bedeuten wird, wenn diese im Creaviva ein Engagement übernehmen. Dass Vermittelnde mit Down-Syndrom, die für «Touchdown» geschult wurden, dereinst auch für Aufgaben in anderen Ausstellungen des ZPK in Frage kommen, ist für Dominik Imhof wünschenswert.  

Museen, die ihre Kommunikationsprodukte verständlicher gestalten möchten, empfiehlt Urs Rietmann, vorab mit Betroffenen zu sprechen und mit ihnen ein passendes Vokabular zu finden. Ein Beirat aus Betroffenen und anderen Expertinnen und Experten könne ein Museum umfassend beraten, weiss er aus Erfahrung. Auch für «Hand in Hand» wurde ein begleitender Beirat mit Betroffenen und Fachleuten eingerichtet; mit der Zeit sollen Interessierte mit möglichst unterschiedlichen Behinderungen und Beeinträchtigungen hier mitwirken. 

Die Regeln und Definitionen von einfacher, klarer und Leichter Sprache sollten nicht als Hindernis wahrgenommen werden, ergänzt Dominik Imhof. «Ausprobieren und daraus lernen und auf die Menschen, die ins Museum kommen, eingehen», sei das Rezept. «Denn Besuchende mit Down-Syndrom sind genauso anders und unterschiedlich, wie alle anderen auch.» 

Einfache Sprache und Leichte Sprache

Leichte Sprache ist ein Hilfsmittel, sie vereinfacht Texte und macht sie leicht verständlich. Das Regelwerk der Leichten Sprache umfasst definierte Sprach- und Rechtschreiberegeln sowie Empfehlungen zu Typografie und Gestaltung. Das Büro für Leichte Sprache von Pro Infirmis übersetzt Texte in Leichte Sprache und unterscheidet drei Stufen von Leichter Sprache: A1, A2 und B1. Die verständlichste Stufe entspricht dem Leseniveau A1 des europäischen Referenzrahmens. Diese Stufe verwendet sehr kurze, einfache Sätze. Jeder Satz beginnt auf einer neuen Zeile, Schrift und Zeilenabstände sind grösser. Diese stark vereinfachte Form des Deutschen richtet sich an Menschen mit deutlichen Verständnisproblemen, etwa Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Auf Stufe A2 sind kurze Nebensätze möglich. Die einzelnen Sätze sind zusammenhängend wiedergegeben, und der Text enthält mehr Informationen. 

Die Stufe B1 entspricht etwa der einfachen Sprache, einer leicht vereinfachten Form des Deutschen. Einfache Sprache richtet sich zum Beispiel an Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Das Büro für Leichte Sprache von Pro Infirmis empfiehlt, die Regeln der Leichten Sprache bei allen Stufen einzuhalten und die Texte von der jeweiligen Zielgruppe prüfen zu lassen, um die Verständlichkeit zu sichern.

www.büro-leichte-sprache.ch

Paola Pitton
Februar 2019

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